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HERZKLOPFA Tourismusmagazin 2/2015

Bruno Nagel über Heimat und daheim sein zwischen Wannsee und Hohenstaufen, schöpferisches Tun – und wie Kunst entsteht. Fühlsch wie i denk? p Bruno, ein Drittel des Jahres arbeitest du in Berlin, hast andererseits ein neues Atelier in Hohenstaufen. Wo ist für dich „Heimat“? Viele tun sich mit dem Heimatbegriff schwer, weil er etwas arg stra- paziert wird. Über „daheim“ sprechen die Menschen seltener, das ist eine konkrete Verortung zum Wohnraum – und die ist subjektiv: Mein Haus, mein Garten ... In der Zeit, als ich kein eigenes Atelier zum Schaffen besaß, hatte ich mir bei einer Performance das Wort „Atelier“ auf die Stirn geschrieben. p Überall, wo du bist, arbeitest du ... ... und dort bin ich auch zuhause. „Heimat“ sehe ich dagegen als eine Art Überbegriff an. Das ist die Landschaft, in der ich spazie- rengehe – die Umgebung, in der ich vertraute Menschen treffe. Das kann Berlin sein, oder wenn ich die „Heimatluft“ im Filstal schnup- pere. Heimat kann auch sein, was Menschen vor Ort geschaffen haben, kann sich zum Beispiel in einer Fabrik manifestieren – es muss nicht immer ein Berg oder Fluss sein. p Sind daheim und Heimat nicht zwei Seiten einer Medaille, egal ob unmittelbare Nähe oder weiteres Umfeld? Im Kern ist es das Gleiche, weil beides Gefühle freisetzt. Wenn ich die beiden Begriffe „daheim“ und „Heimat“ übereinanderlege, ent- steht ein neues Wort: „Daheimat“. Beides fällt in eins – so empfin- den wir: Meine Familie, meine Nachbarn, mein Dorf, meine Stadt. p In Berlin schaffst du unter anderem als „getarnter Schwa- be“, das hört sich mehr nach „fremdeln“ an. Ganz Berlin ist für „Heimat“ zu groß, finde ich – das ist dann eher ein einzelner Kiez. Oder ein Gefühl, „Wannsee ich dich wieder“ ... Auch ein Dialekt stimmt mich heimatlich – der in Neukölln zum Bei- spiel. Schon in Charlottenburg sprechen die Menschen anders, und im Prenzlauer Berg im Osten wieder auf andere Weise. p Nur mit dem Schwäbisch ist es dort so eine Sache. In den Medien wurde eine Zeitlang thematisiert, dass Berliner von zugezogenen Schwaben nicht gerade begeistert sind. Das ist eine Spezialität im Prenzlauer Berg, eine Fehde von zwei, drei Straßenzügen. „Schwaben raus“ wurde aufgebauscht, damit man eine würzige Geschichte verkaufen kann. Der Alltag sieht nor- maler aus: In der „Schwäbischen Bäckerei“ bekommt man natür- lich keine „Schrippen“ sondern „Wecken“. Es kommt ja auch nie- mand auf die Idee, in der Pizzeria „Flammkuchen italienische Art“ zu bestellen. p Wofür dann die „Tarnung“? Ich arbeite dort in einem Restaurant. Der Kollege und Freund, dem es gehört, hat diese Fehde spaßhalber aufgegriffen und ein großes Schild aufgehängt: „Es ist verboten, schwäbisch zu sprechen und auf den Boden zu spucken!“ Ich aber bin Schwabe, er selbst ist Schwabe, also schwätzen wir natürlich auch schwäbisch. Sobald Gäste ins Restaurant kommen und das Schild sehen, lachen sie darüber – das ist ein Spiel. p Das Restaurant ist sowieso nicht „normal“ ... Du kannst da nicht einfach à la carte essen gehen. Die „Koch- Kunst-Galerie“ kennt man nur über Kontakte. Alle zwei Monate wird der Essensraum von einem Künstler neu eingerichtet. Das kann ein Video oder ein Wandrelief sein, oder auch das Porzellan, von dem gegessen wird. Es gibt mitunter abgefahrene Rezepte, bei denen Künstler in der Küche mitwirken. Wenn ich dort Ausstellungen ma- che, bringe ich beispielsweise meinen selbstgebrannten Schnaps aus der Adelberger Zachersmühle oder selbstgemachtes Brunnen- kresse-Pesto mit. Koch und Künstler arbeiten dort gemeinsam ... ein abgeschlecktes Zuhause. p Und das Bedienen der Gäste ist Teil der Performance? Kellnern ist in gewissem Sinne schöpferisches Tun. Du setzt deinen Körper auf ganz bestimmte Art und Weise ein: Mimik, Sprache, Gestik – wie du auf Menschen zugehst. Gelernte Kellner bewegen sich auf ihre eigene Art zwischen den Tischen – faszinierend! Die Haltung, wie serviert wird und wie man den Gast anspricht, das ist alles auch – Gestaltung! Und das kann man bis zur Spitze treiben. p Was treibt dich als Künstler an? Ich bin Autodidakt, habe also nicht Kunst studiert. Irgendwann war so ein Grundtrieb da, der dich nicht mehr verlässt. Ich denke, bei jedem Menschen ist etwas in der Persönlichkeit angelegt, und das bildet sich dann aus – wie sich aus Samen eine Pflanze entwickelt. p Hinzu kommt eigenes Handeln, Aktivität? Als ich mit Kunst anfing, wollte ich alles auf einmal machen: Ich habe fotografiert, gezeichnet, gemalt und die ersten Gedichte ge- schrieben. Und ich habe unwahrscheinlich gerne getanzt – ziem- lich raumgreifend. Die Kunst gibt mir die Möglichkeit, diese unter- schiedlichen Anlagen immer wieder neu umzusetzen. So verstehe ich mich als Dichter, Maler, Bildhauer, Tänzer – Schauspieler.Und die Frage nach dem „Antrieb“? Das klingt so nach einer Karotte, die dem Esel vorne hingehalten wird, damit er den Karren zieht. Was wird mir hingehalten, dass ich das alles mache? p Bei Deiner „Lesereise“ im Mai von Adelberg auf den Hohenstaufen hast du tatsächlich einen Karren gezogen. So ist es, das war Teil der Performance. Vielleicht halte ich mir die Karotte selber hin? > Heimat p 11

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