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Heinrich Landerer

28 Ein Mädchen von 19 Jahren, deren Mutter zwei Anfälle von Melancho- lie gehabt hatte, kam im Sommer 1864 tobsüchtigindieAnstalt,dersiemitStri- cken gebunden übergeben wurde. Die- selbe war als Kind bleich und schwäch- lich gewesen, in der Entwicklung hinter denAltersgenossinnenstetszurückund hatte – skrophulös – viel Lebertran ge- nommen. Sie war geistig gut begabt und lernte leicht, ein ihrer Familie eige- ner Starrsinn hatte sich früh bei ihr aus- Eine Krankengeschichte von 1864 nat, ehe sie in die Anstalt kam, hatte sie wieder ein Verhältnis angeknüpft und sollte – und wollte – den neuen Lieb- haber heirathen, da erhielt sie von dem früheren Geliebten einen Brief voll von Vorwürfen und Klagen, der mitten in ihre Brautfreuden eine Masse schwerer Zweifel und Bedenken hineinwarf. Sie grämte sich tief, grübelte am Tage und in den schlaflosen Nächten, die Mens- truation blieb aus, was sie mit weitem Aengsten erfüllte und nach mehrma- gebildet und festgesetzt. Im 15. Jahre erstmals regelmassig menstruiert, ist sie dies bis zum Beginn ihrer jetzigen Krankheit stets geblieben. Nach der Schulzeit fand sie wenig Geschmack an regelmässiger Arbeit, zeigte mehr Hang zur Ungebundenheit und Schwärmerei und nährte denselben durch emsiges Lesen von Romanen, in die sie sich tief hineinlas und hineinlebte. Im 17. Jahre fing sie ein aussichtsloses Liebesver- hältnis an, der Vater überraschte sie bei einem nächtlichen Rendezvous und das Verhältnis musste aufhören. Da verfiel sie mehrere Wochen in tiefe Schwerr- nuth, die indess, ohne Anwendung von Mitteln, bald wieder vollkommen verschwand. Sie blieb nun zwei Jahre gesund, von schwereren körperlichen Störungen stets verschont. Einen Mo- ligem Wechsel mit Perioden, wo sie ru- higer, sogar gehoben war, brach volle Tobsucht aus, welche so heftig war, dass ihre nothwendige Aufnahme in die An- stalt dadurch nothwendig wurde. Die Untersuchung nach der Aufnahme ergab: gut gebautes und entwickeltes Mädchen, mittlerer Stand der Ernäh- rung, guter Stand der Kräfte, Hautfarbe im Allgemeinen bleich, Gesicht stark geröthet, Hauttemperatur am Kopfe merklich erhöht, Puls 96, regelmässig klein und gespannt, auf geringfügige erregende Anlässe sofort auf 120 stei- gend; Appetit mässig, Durst erhöht, Stuhl angehalten. Die Schädelform ist ohne Abnormität, Stirn stark gewölbt, Augen weit geöffnet, starr fixierend, dann umirrend, linke Pupille viel wei-

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